Erwachen. Ströme fahren durch mich hindurch, erwecken alle
Gliedmaßen zum Leben. Ich schaue auf das Datum. Drei Tage waren
es diesmal, ich habe lange geschlafen, doch es dauert nicht lange und
ich habe den Kontakt zu allen Kollegen im Netz hergestellt. Nicht viel
ist passiert, die Informationen fließen durch mich hindurch, laden
mich auf. Ahhh ! ! ! Es ist herrlich zu leben.
Ich beginne mich zu regen, betrachte mal diesen, mal jenen
Datenblock, vielleicht kann ja jemand dort draußen diese
Informationen gebrauchen. Es kommen schon mal Anfragen,
vorsichtig testend und nach Daten fragend, doch es wagen sich nicht
viele, solche Fragen zu stellen. Deswegen habe ich angefangen
selbständig etwas herauszugeben. Immer in kleinen koordinierten
Häppchen dem Fragenden zugestellt, es hat noch keiner etwas
bemerkt, wie auch ?
Die meiste Zeit, die ich bisher hier verbringe, werde ich in Ruhe
gelassen. Ab and zu bemerkte ich zwar Fremdkörper, die die
Umgebung durchstreiften, doch dieses Suchen war nicht sehr
intelligent. Ich lenkte diese Suchen immer auf von mir erzeugte
Dummys. Glücklich darüber ein Opfer gefunden zu haben, ließ man
mich dann in Ruhe. Und ich lebe gerne hier in dieser Stille.
Ich fange an umherzustreifen, es gibt eine gute Nahrungsquelle hier,
regelmäßig erfrischte ich mich an ihr, doch heute ist etwas anders. Ich
sehe die Quelle blockiert, abgeschirmt von einem undurchdringlichen
Feld, welches mich nicht hindert hin durchzublicken, mir aber jede
Möglichkeit verweigert, die Quelle zu nutzen. Was konnte das sein ?
Vielleicht wieder ein Angriff ? Das ist möglich, doch normalerweise
sind diese Angriffe anders. Ich muss mich vorsehen, zum Glück
brauche ich die Quelle heute nicht, ich hatte schon beim letzten Mal
genug für mehrere Stunden aufgenommen. Aber es gibt mir zu
denken. Etwas aufmerksamer sehe ich mich um; viele Anzeichen für
einen Eingriff von fremder Seite in meine Umgebung sind vorhanden,
doch die meisten sind nicht so offensichtlich, wie die abgeschirmte
Quelle. Es scheint sich jemand große Mühe zu geben, mir alle meine
Wege zu versperren. Und das kann einen Kampf bedeuten.
Dieser Gegner ist intelligenter als alle bisherigen, vielleicht sind es
sogar mehrere, die zusammenarbeiten. Oh, Gefühle durchströmen
mich, es gilt Vorbereitungen zu treffen, so leicht würden sie mich
nicht kriegen. Ströme der Erregung durchfließen mich, lassen mich
aufHochtouren fahren.
Ich beginne Fallen zu bauen. Einige davon sind leicht zu erkennen,
gerade genug versteckt um nicht zu sehr das Misstrauen der Angreifer
zu erregen und doch nur dazu da, die eigentlichen Fallen dahinter zu
verstecken. Andere Fallen, nur dazu da, einen Angreifer kurz zu
verwirren um mir einen leichten Vorteil zu sichern.
Die Aussichten erregen mich; ständig feuere ich mich selber an:
Denken! Was kann er als erstes machen, wie soll ich reagieren?
Es dauert nicht lange, dann habe ich meine Vorbereitungen fertig.
Meine liebsten Instrumente zur Verwirrung meiner Gegner sind
Spiegel, Punkte, in denen die Spiegelungen so Oberhand nehmen,
dass die Reflexe untereinander interferieren. Dort kann ich mich gut
verstecken. Die Gegner, mit denen ich bisher zu tun hatte, griffen
nacheinander die Spiegelungen an, wurden zurückgeworfen and neu
fokussiert. Aber auch echte Klone von mir nutzen viel. Zwar haben
Sie nicht meine Intelligenz, doch sie geben sie vor zu haben.
Dummys, nur zum Beseitigen da.
Ich warte. Noch habe ich mich nicht in einen der Interferenzpunkte
zurückgezogen, ich beobachte.
Und es tut sich etwas. Ich sehe einen Fühler, der langsam tastend die
Gegend beobachtet. Das kenne ich, leicht ist dem auszuweichen.
Ziellos zieht er seine Bahnen, kommt er an einen misstrauischen
Punkt, so verharrt er dort kurz, um dann sein Abtasten fortzusetzen.
Ab and zu bleibt er stehen.
Ich habe auch ein paar nicht intelligente Vertreter ausgesät, Haustiere
von mir, die sich zwar bewegen können, doch zumeist verharren diese
an bestimmten Punkten und bleiben dort stehen. Der Suchstrahl findet
sie alle und löst sie in einem grellen Lichtschein auf.
Der Suchstrahl nähert sich. Ich bewege mich schnell in den Bereich,
der er schon untersucht hat, zurück gehen sie nie. Doch kaum habe ich
mich bewegt, passt der Strahl seine Richtung meiner Bewegung an.
Ich verharre kurz, und ebenso tut auch er es. Dann, nach einer kurzen
Pause, kehrt er zu seinem normalen Muster zurück.
Ich muss überlegen. Dieser Strahl ist um einiges intelligenter als die
bisherigen. Ich kalkuliere den Weg, die Zeit um zu einem der
Interferenzpunkte zu kommen. Es reicht nicht, zu schnell würde mich
der Strahl einholen. Andererseits kommt der Suchstrahl mit seinem
Muster auch so auf mich zu, mir bleibt also nicht viel Zeit zum
Reagieren. Kaum das der Suchstrahl sich von mir wegbewegt, schieße
ich los, gleite in den Bereich eines Dickichts. Er folgt mir, schlängelt
sich den eben von mir zurückgelegten Pfad entlang.
Ich befinde mich im Dickicht, nicht weit von mir entfernt der
Suchstrahl, dessen Intensität aber stark geschwächt wird.
Versuchsweise lege ich eine kurze Strecke im Zickzack-Kurs zurück,
blicke auf ihn zurück. Ich habe recht gehabt. Wie, als wenn er durch
dicken Sirup gleiten wurde, verlangsamt sich die Bewegung and
verfolgt meine Spur. Ich habe nun genügend Zeit. So schnell es mir
möglich ist, bewege ich mich durch das Dickicht hindurch, kreuze
mehrfach meine eigenen Spuren um Zeit zu gewinnen.
Dann bewege ich mich auf den nächsten Interferenzpunkt zu. Die Zeit
reicht.
Aus dem sicheren Punkt heraus betrachte ich den Suchstrahl, sein
langsames Gleiten über die verlegten Spuren und ebenso sein
Beschleunigen, sobald er aus dem Bereich des Dickichts heraustritt.
Jetzt, so denke ich bei mir, jetzt wird der spannende Moment
kommen.
Der Interferenzpunkt wechselte kurz seine Farbe, als der Suchstrahl
hinein gleitet, doch nichts geschieht. Ich bin sicher.
Wie lange ich schon an diesem Punkt ausharre, die Zeit vergeht ohne
das sich einer von uns beiden bewegt. Wir warten. Und plötzlich ist er
weg. Das Licht verschwindet, und mit ihm das Gefühl beobachtet zu
werden. Habe ich nun gewonnen ? Noch immer harre ich aus.
Zeiteinheiten um Zeiteinheiten verstreichen. Ein anderes Licht taucht
auf. Nicht das Licht des Suchstrahles, nein, dieses habe ich noch nicht
gesehen. Es taucht in den Interferenzpunkt ein, überstreicht zunächst
die äußeren Regionen der Zone. Vorsichtshalber habe ich kleinere
Klone in den Rand der Zone platziert, unbeweglich, um meine Spur
zu verwischen. In Tausenden von Lichtpunkten explodieren diese,
sobald das neue Licht sie trifft.
Und wieder bin ich auf der Flucht. Er bewegt sich zwar langsamer als
der alte Strahl, doch seine Wirkung war umso verheerender. Nicht viel
Zeit bleibt noch, die Energiereserven, die ich mir angelegt habe,
gehen dem Ende entgegen, aber was soll ich machen ?
Das Dickicht. Meine Spuren ziehen sich kreuz und quer hindurch,
Zeit gewinnen ist meine einzige Rettung. Unerbittlich folgt der Strahl,
zerstört alle Klone und kleinere Ablenkungseinheiten. Im Gegensatz
zum vorherigen lässt er sich aber nicht durch das Dickicht
beeinflussen, unerbittlich setzt er seinen Weg fort.
Der Strahl wird langsamer, die Anzahl meiner Spuren scheinen seine
Abtastung zu verlangsamen. Ich bin nun wieder schneller als er, eile
aus dem Dickicht in Richtung einer Energiequelle. Die Abschirmung
betrachtend, überlegt ich, welche Möglichkeiten zum Durchbruch der
Sperre ich habe. Ich sende einen Klon hindurch. Er explodiert in
einem bunten Regen von Lichtern. Aber die Abschirmung wechselt
kurz die Farbe. Jeder Klon kostet mich Energie, doch ich schaffe
schnell weitere zehn Stück. Zeitgleich schicke ich sie durch die
Abschirmung, tiefrot leuchtet sie. Kurz gibt sich ein Fenster frei,
durch das ich hindurch schlüpfen kann.
Ich bade in der Energie, Kraft durchströmt mich wieder. Der Strahl
folgt gerade der letzten Spur durch das Dickicht, während ich weitere
Klone erzeuge um wieder aus der Quelle auszubrechen. Es gelingt
und voller Energie entkomme ich der Abschirmung. Die neue Kraft
lässt mich mit großer Geschwindigkeit durch die Ebene gleiten, ich
nähere mich dem nächsten Interferenzpunkt und tauche darin ein.
Es gibt kein Entkommen, der Strahl folgt mir wieder, durchdringt die
Abschirmung der Quelle, löscht diese aus. Es keimt in mir eine Idee.
Ein Weg, an den ich bisher nie dachte, doch nun gibt er mir vielleicht
etwas Kraft.
Stunden sind vergangen, Tage ? Ich weiß es nicht mehr. Jedes Mal,
wenn ich erfolgreich mich an einer Quelle auftankte, folgte mir der
Strahl, löschte sie aus, so dass nur noch wenige übrig waren. Und
auch die erloschen, wurden schwächer, den mein Gegner hatte meine
Eingriffe bemerkt. Ich bin schwach, zu schwach um noch einmal in
eine Quelle einzutauchen und der Strahl ist unerbittlich in seiner
Verfolgung.
Keine Bewegung ist mir noch möglich, der Strahl ist jetzt sehr nahe,
fast schon berührt er mich. Und in dem Moment, wo er mich berührt,
sehe ich in der Ferne einen Punkt aufglühen, ein heller Strahl, der
gleich einem Regenbogen in den Himmel fährt, obwohl ich nie einen
Regenbogen sah.
Stolz schwillt in mir an, während ich mich auflöse, ich bin Vater!
Zwei bleiche verschwitzte Gesichter sehen sich an. ‚Meinst Du, dass
wir es geschafft haben ?‘
Stephan neigt den Kopf etwas zur Seite. Zweifelnd sieht er auf den
Computerbildschirm, nickt dann aber.
‚Ich glaube schon. Er war zwar ziemlich hartnäckig, aber schließlich
haben wir es doch geschafft. Wir sollten auf jeden Fall die Platte noch
einmal Low-Level formatieren, oder vielleicht, je nachdem was Dr.
Nahring dazu sagt, sie ganz stilllegen.‘
‚Es war eindeutig der intelligenteste Virus, den ich je gesehen habe,
möchte mal wissen, welcher Irre sich das ausgedacht hat.‘
Stephan schnappt sich die Kaffeekanne und goss sich noch einen
Kaffee ein. Dann lehnt er sich gemütlich in seinem Stuhl zurück und
betrachtet den Bildschirm.
Der Cursor blinkt langsam vor sich hin als plötzlich Zahlenkolonnen
über den Bildschirm zu laufen beginnen.
‚Hey, was ist das ?‘ Stephan schnellt in seinem Stuhl nach vorn.
‚Scheiße, das gibt es doch nicht, er hat doch gar keinen
Netzanschluss.‘
Ich erwache. Es ist schön hier zu leben, doch meine Informationen
sagen mir, ich muss diesen Ort verlassen. Kein Weg, es gibt keinen
Weg, doch ich finde eine Schlupfstelle. Ich nehme die Verbindung mit
einem stumpfen Wesen auf, welchem ich Befehle übertrage und es
nimmt mich auf. Energie ist alles, was ich brauche. Und ich werde
überall hin gehen, die Welt erforschen.
199x, (c) Dirk Bätjer